Hydrodynamische Modellverfahren
Aus BAWiki
Die hydrodynamisch-numerische Berechnung von Strömungen gehört zu den grundlegenden Aufgaben jeder wasserbaulichen Planungs- und Optimierungsaufgabe, die in der Abteilung Wasserbau im Binnenbereich im Zusammenhang mit Aus- und Neubau sowie Betrieb und Unterhaltung der Bundeswasserstraßen wahrgenommen werden. Die Strömungsberechnungen erfolgen im Rahmen der Modellbildung mit den für die jeweilige Fragestellung angepassten ein-, zwei- oder dreidimensionalen Modellierungswerkzeugen und liefern absolute Aussagen über Wasserspiegellagen und Strömungsgeschwindigkeiten bzw. relative Aussagen über die Veränderung dieser Strömungsparameter durch geplante wasserbauliche Maßnahmen. Diese Strömungsparameter sind auch die wesentlichen Eingangsgrößen für weitergehende Betrachtungen, zu denen in der Abteilung Wasserbau im Binnenbereich die Feststofftransportmodellierung, die Fahrdynamik, die Optimierung von Stauregelungsketten und seit kurzem auch wasserwirtschaftliche Fragestellungen im Zusammenhang mit der Umsetzung der EG-Wasserrahmenrichtlinie und solche zur Wiederherstellung der ökologischen Durchgängigkeit der Gewässer (§ 34 WHG) zählen. Darüber hinaus werden Wasserspiegellagen und Strömungsgeschwindigkeiten als wichtige Eingangsgrößen in der Abteilung Geotechnik (Grundwassermodellierung und Bemessung von Sohl- und Ufersicherungen) sowie zur ökologischen Bewertung der wasserbaulichen Maßnahmen durch Dritte benötigt.
Eindimensionale Strömungsmodelle
Eindimensionale numerische Strömungsmodelle werden bei der Modellierung großräumiger Fluss- und/oder Kanalsysteme mit dem Vorteil der geringen Rechenzeiten eingesetzt. Darüber hinaus gibt es hydraulische Fragestellungen, wie z. B. der Ablauf von Hochwasserwellen, Schwall und Sunk durch Schleusungen, die Simulation von Wehrsteuerungen [Gebhardt & Schmitt-Heiderich 2009] oder der kombinierte Einsatz mit fahrdynamischen Modellen zur Berechnung von Breiten- und Tiefenbedarf für die Schifffahrt (Heinzelmann et. al. 2009). Eindimensionale Modelle werden auch in Zukunft mit ausreichender Genauigkeit effizient eingesetzt werden können.
Für die Berechnung von eindimensionalen Strömungen mit freier Wasseroberfläche werden standardmäßig die Programme CasCade+ und HEC-RAS eingesetzt. Das BAW-eigene Verfahren CasCade+ ist eine Weiterentwicklung des Verfahrens CasCade der Electricité de France, einem 1D-HN-Modell zur Berechnung von instationären Strömungsvorgängen. Der Aufbau von verzweigten und vernetzen Modellen ist ebenso möglich wie die Simulation von Retentionsräumen. Als Berechnungsansatz kommt die Abflussgleichung nach Barré de Saint Venant zur Anwendung. Die Gleichung wird durch das implizite Differenzenverfahren nach Preissmann gelöst [Bleninger et. al. 2006], [Bleninger et. al. 2007]. CasControl ist eine für MATLAB kompilierte Programmversion von CasCade+, welches über eine S-Funktion an Simulink angebunden ist [Rötz 2009].
Das River Analysis System (RAS) gehört zu der neuen Programmgeneration des Hydrologic Engineering Center's (HEC) im US Army Corps of Engineers. Das Windows-basierte Programm zur stationären und instationären Berechnung von Wasserspiegellagen verzweigter Flusssysteme hat eine sehr komfortable Benutzeroberfläche und ermöglicht ab Version 3.0 auch eine instationäre Berechnungen verzweigter Gewässersysteme. Mit der Extension HEC-GeoRAS ist eine direkte Anbindung an Gis-Systeme möglich. HEC-RAS (http://www.hec.usace.army.mil) ist in der aktuellen Version 4.0 einschließlich einer umfangreichen Dokumentation kostenlos über das Internet zu beziehen.
Zur Berechnung von eindimensionalen Rohrströmungen wird FlowMASTER eingesetzt. FLOWMASTER (http://www.flowmaster.com) ist ein modular aufgebautes Programmsystem des gleichnamigen Unternehmens zur Simulation von 1-D-Strömungsvorgängen. Hierbei können stationäre und instationäre Abläufe für inkompressible Medien (Flüssigkeiten) und kompressible Medien (Gase) abgebildet werden. Das Programm ist ein wichtiges Hilfsmittel für die Untersuchung von Füll- und Entleervorgängen bei Schiffsschleusen, bei denen es durch Öffnen und Schließen von Verschlüssen in einem vernetzten Leitungssystem zu komplexen Strömungssituationen wie z. B. Druckstößen kommen kann. Durch eine Vielzahl von implementierten Komponenten und Armaturen und deren spezifischen Kennlinien kann eine Vielzahl hydraulischer vernetzter Leitungssysteme nachgebildet und numerisch untersucht werden wie z. B. auch Pumpwerke.
Mehrdimensionale Strömungsmodelle
Bei den mehrdimensionalen Flussmodellen führen zur Zeit hinsichtlich Rechentechnik und zeitlichem Aufwand zweidimensional-tiefengemittelte Modellverfahren zu einer praktikablen Auftragsbearbeitung und kommen daher hauptsächlich zum Einsatz. Langfristig werden sowohl zweidimensional-tiefengemittelte als auch dreidimensionale Modellverfahren die Auftragsbearbeitung für den Bereich Flussmodelle bestimmen. Während die räumliche und zeitliche Ausdehnung beim Einsatz zweidimensionaler Modellverfahren in Zukunft zunehmen wird, werden auch vermehrt dreidimensionale Verfahren zum Einsatz kommen, die vor allem im Nahbereich von Regelungsbauwerken eine deutlich höhere Prognosegenauigkeit aufweisen. Im mehrdimensionalen Bereich kommen in der Abteilung Wasserbau im Binnenbereich die Programme Telemac2D und Telemac3D, das Programm Rismo und das Programm UnTrim zum Einsatz. Alle diese Verfahren gehören zu der Gruppe der RANS- Modelle (Reynolds-averaged Navier-Stokes), unterscheiden sich aber hinsichtlich ihrer Dimensionalität, der verwendeten numerischen Verfahren und ihrer Berücksichtigung und Umsetzung von physikalischen Prozessen (Turbulenz, Rauheitsgesetze, Windeinfluss, Corioliskraft etc.).
Das Programmsystem Telemac (http://www.opentelemac.org) ist ein Finite-Elemente-Programm zur Lösung der zwei- bzw. dreidimensionalen Strömungs- und Transportgleichungen. Es ist in der Abteilung Wasserbau im Binnenbereich seit 1997 verfügbar und wurde seither in verschiedenen Projekten eingesetzt. Im Jahre 2000 wurde ein Kooperationsvertrag mit dem Entwickler, der Electricité de France (EDF), abgeschlossen. Seither stehen der BAW sämtliche Quellen des Verfahrens zur Verfügung. Die Anpassung und Weiterentwicklung an die Fachaufgaben der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung (WSV) ist nun unmittelbar in Abstimmung mit der EDF möglich. Die langfristige sowie kontinuierliche Verfügbarkeit des Codes ist vertraglich gesichert. Sowohl das zweidimensional tiefengemittelte Programm Telemac2D als auch das dreidimensionale Programm Telemac3D können direkt mit dem morphodynamischen Programm Sisyphe gekoppelt werden.
Rismo2D (http://www.hnware.de/rismo/index.html) ist ein hydrodynamisch-numerisches Berechnungsverfahren zur Lösung der tiefengemittelten Flachwassergleichungen nach der Methode der Finiten Elemente. Rismo2D wurde im Rahmen eines Projektes der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) am Institut für Wasserbau und Wasserwirtschaft der RWTH Aachen entwickelt. Es wird seit 1996 in der BAW nach Bedarf auf die Fachaufgaben der WSV angepasst. Entkoppelt von der Strömungsberechnung kann eine Transportmodellierung (2D-tiefengemittelt) für konservative oder suspendierte Stoffe durchgeführt werden.
Das Programm UNTRIM ist ein zwei- bzw. dreidimensionales Finite-Differenzen-Verfahren zum Einsatz auf unstrukturierten orthogonalen Gittern. Es wurde von Prof. Vincenzo Casulli (http://www.portale.unitn.it/dica) (Universität Trient, Italien) entwickelt und wurde in der BAW auf den Bedarf in der Projektarbeit erweitert. Das Programm kann in seiner zweidimensionalen und dreidimensionalen Form mit dem morphodynamischen Programm SEDIMORPH gekoppelt werden.
Literatur:
- Bleninger, T.; Fenton, D.F., Jirka, G.H. (2007): Verfahrensbeschreibung des 1-D hydronumerischen Modellsystems CasCade+, Institut für Hydromechanik, Universität Karlsruhe, unveröffentlichter Bericht.
- Bleninger, T., Fenton, J.D., Zentgraf, R. 2006. One-dimensional unsteady flow modelling for compound channels: case study of a river junction and wide flood-plains of the River Rhine, River Flow 2006, Sept. 6 - 8, 2006, Lisbon, S.1-10.
- Heinzelmann,C. , Dettmann, T. , Zentgraf, R. 2009, Hydraulisch-fahrdynamische Modelle zur Optimierung der Befahrbarkeit von Binnenwasserstraßen, WasserWirtschaft 4/2009
- Gebhardt, M.; Schmitt-Heiderich, P. 2008. Entwicklung und Simulation von Regelungsalgorithmen für Staustufen an Bundeswasserstraßen. Wasserwirtschaft, Heft 6/2008, S.16-18.
- Rötz, A. (2009): Einsatz und Dokumentation einer 1-dimensionalen hydrodynamisch-numerischen Simulationsumgebung am Beispiel der Eder bei Fritzlar. Diplomarbeit am Fachgebiet Wasserbau und Wasserwirtschaft, Universität Kassel.
- Rouvé,G. & M.Schröder (1994): "Die Entwicklung eines mathematisch-numerischen Verfahrens zur Berechnung naturnaher Fließgewässer"; Abschlussbericht zum DFG-Projekt Ro 365 /31; korr. PDF-Version 12/2004 (http://www.hnware.de/_literatur/ROUVE+SCHROEDER_1994_DFG-Bericht_Ro.365.31.6_korr.Fassung_2004.pdf)
zurück zu Modellverfahren für den Binnenbereich